Jahresrückblick 2023: Innenpolitik
Rückschau auf die politisch und gesellschaftlich relevantesten Ereignisse des zu Ende gehenden Jahres in Rumänien
Daniela Budu, 30.12.2023, 17:30
Rotationsverfahren innerhalb der Koalition: Wie tragfähig ist dieses Regierungsprinzip?
Die Regierungskoalition in Rumänien hat sich 2023 auf eine jede sechs Monate durchzuführende Rochade der Ministerpräsidenten zwischen der Sozialdemokratischen Partei (PSD) und der Nationalliberalen Partei (PNL) geeinigt. Außerdem sollten andere wichtige Regierungsposten nach einem bestimmten Schlüssel zwischen den beiden Großparteien aufgeteilt werden Der bis dahin als Juniorpartner mitregierende Ungarnverband (UDMR) fühlte sich düpiert, was ein sofortiges Ausscheiden der Vertreter der ungarischen Minderheit aus der Exekutive bewirkte. Die Regierung wurde in der Folge bis Mitte Juni vom Liberalen Nicolae Ciucă geführt, der dann das Amt des Ministerpräsidenten gemäß der Vereinbarung an den Sozialdemokraten Marcel Ciolacu abtrat. Dem Ungarnverband schien das Drücken der Oppositionsbank nicht ganz zu bekommen, für die Zukunft strebt er wahrscheinlich eine erneute Beteiligung an der Koalition an, denn allzu lautstark ist der UDMR nicht aufgetreten, sondern hat einige Vorstöße der Regierung sogar unterstützt.
Das Jahr 2023 war auch kein leichtes für die Exekutive. Die wichtigste Aufgabe war, die mit dem Nationalen Aufbau- und Resilienzplan (PNRR) eingegangenen Verpflichtungen weiter zu erfüllen und einige Punkte dieses Plans mit Brüssel neu zu verhandeln. Wichtig war auch, ein Paket von steuerlichen und haushaltspolitischen Maßnahmen vom Parlament verabschieden zu lassen. Dieses zielte unter anderem darauf ab, die Haushaltsverschwendung zu reduzieren und die langfristige Tragfähigkeit der Finanzen des Landes durch die Abschaffung einiger Steuerausnahmen, die weitere Besteuerung von Luxusgütern und die Eindämmung der Steuerhinterziehung zu gewährleisten.
Insgesamt war die die Politszene im Jahr 2023 hektisch, denn es steht viel auf dem Spiel: 2024 wird ein Superwahljahr in Rumänien sein — im kommenden Jahr finden in Rumänien Europawahlen, Kommunalwahlen, die Parlamentswahl und die Wahl eines neuen Präsidenten statt.
Zähe Verhandlungen um Schengen-Beitritt: Rumänien gelingt nur partieller Durchbruch
Das Schengen-Dossier, das für Rumänien in den letzten zehn Jahren eine wichtige außenpolitische Priorität darstellte, prägte auch das Jahr 2023. Nun ist Bukarest ein erster Durchbruch gelungen. Nach intensiven Verhandlungen erklärte sich Österreich, das einzige Land, das bis zuletzt die Schengen-Mitgliedschaft noch ablehnte, bereit, Rumänien und Bulgarien ab März 2024 den Beitritt zum Raum des freien Personenverkehrs mit den See- und Luftgrenzen zu ermöglichen. Für die Landgrenzen gibt es noch keinen festen Termin, doch die Verhandlungen sollen 2024 fortgesetzt werden.
Auf der Tagung des Europäischen Rates Mitte Dezember hatte Wien den Vorschlag unterbreitet, Bukarest in den Schengen-Luftraum aufzunehmen, und Bukarest hatte einen klaren Beitrittsplan auch für die Landgrenzen gefordert. Rumänien hat seit 2011 alle Beitrittskriterien erfüllt und genießt die Unterstützung der europäischen Institutionen. Die europäischen Partner haben mehrmals die Fortschritte des Landes in den Bereichen Grenzkontrolle, Migration und Asyl anerkannt. Österreich hingegen hat die Ablehnung des Beitritts immer wieder mit dem Hinweis auf Probleme in eben diesen Bereichen begründet. Allerdings wurden die im Raum stehenden Vorwürfe nie durch Dokumente oder Statistiken untermauert.
Korruption: Hochrangige Politiker wegen Impfdosenaffäre strafrechtlich verfolgt
Der Politikbetrieb in Rumänien wurde in diesem Jahr auch durch den sogenannten Pandemie-Beschaffungsskandal erschüttert. Gegen den ehemaligen liberalen Premierminister Florin Cîțu, einen Staatssekretär und zwei ehemalige Gesundheitsminister wurde von der Antikorruptionsbehörde DNA ein Strafverfahren wegen Beihilfe zum Amtsmissbrauch eingeleitet. Laut der Staatsanwaltschaft sollen die Beschuldigten den Kauf von weit mehr Impfstoffdosen genehmigt haben, als benötigt gewesen wären, und damit dem rumänischen Staat einen Schaden von 1 Mrd. EUR verursacht haben.
Ein weiterer Korruptionsfall betraf den Import von Pandemie-Masken, die den EU-Standards nicht entsprachen. Verwickelt waren der ehemalige Fußball-Nationaltrainer Victor Pițurcă und dessen Sohn sowie Gabriel Țuțu, Vorstandsleiter von Romarm, dem wichtigsten nationalen Unternehmen für Militärprodukte.
Soziale Proteste im öffentlichen Sektor: Streiks im Bildungs- und Gesundheitswesen
Im Mai, just einen Monat vor den Sommerferien, als Prüfungen und Schülerbewertungen anstanden, haben die Lehrkräfte drei Wochen lang gestreikt — eine noch nie dagewesene Situation im rumänischen Bildungswesen. Mehr als 150 000 Lehrkräfte schlossen sich dem Ausstand an, hinzu kamen Zehntausende von Hilfslehrern und Verwaltungspersonal, die allesamt mit der Gehalts- und Sozialpolitik der Regierung unzufrieden waren.
Die Politik hat die meisten ihrer Forderungen erfüllt und neue Gesetze für die jeweiligen Bildungsstufen und -einrichtungen verabschiedet, die nach Ansicht ihrer Urheber das rumänische Bildungssystem grundlegend reformieren würden. Im Mittelpunkt stand die Agenda Bildungsstandort Rumänien“, für die sich Präsident Klaus Iohannis, der selbst Gymnasiallehrer war, während seiner beiden Amtszeiten höchstpersönlich starkmachte.
Auch im Gesundheitswesen wurde gestreikt, die Angestellten bemängelten ebenfalls die niedrigen Löhne und die schlechten Arbeitsbedingungen. Das gesamte zu Ende gehende Jahr war von Protesten und Kundgebungen geprägt, zu denen verärgerte Gewerkschaften aufgerufen hatten. Und es blieb nicht allein auf die Bereiche Bildung und Gesundheitswesen beschränkt — auch Richter, Staatsanwälte, Eisenbahner, Polizeibeamte und Förster haben ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht.
Kultur: Temeswar war europäische Kulturhauptstadt 2023
2023 war das Jahr der Europäischen Kulturhauptstadt Timișoara (Temeswar) in Westrumänien. In der Banater Metropole Stadt fanden über 2 000 Veranstaltungen statt, die von zahlreichen Künstlern dargebotenen Aufführungen waren stets gut besucht. Neben kulturellen Veranstaltungen, Aufführungen, Konzerten und Filmpremieren gab es auch eine Ausstellung, die dem großen rumänischen Bildhauer Constantin Brâncuși gewidmet war. Fast 900 Organisationen und über 3 000 Freiwillige waren am Kulturhauptstadt-Jahr beteiligt.
Vom 27. August bis zum 24. September fand auch die 26. Ausgabe des Internationalen George-Enescu-Festivals statt. Das Festival, das als eine der wichtigsten internationalen Veranstaltungen für klassische Musik weltweit gilt, brachte mehr als 3 500 der weltweit renommiertesten Musiker und über 40 Orchester aus 16 Ländern zusammen.
Sport: Nationalelf schafft es nach langer Zeit wieder in die Endrunde der EM
Nach einer langjährigen Flaute sind im rumänischen Fußball nun bessere Zeiten angebrochen. Nach einer achtjährigen Abwesenheit qualifizierte sich die rumänische Fußballnationalmannschaft für die Endrunde der Europameisterschaft in Deutschland. Nach der Auslosung steht nun klar: Rumäniens Nationalelf wird nächstes Jahr in der Gruppe E gegen Belgien und die Slowakei spielen. Und im Minifußball konnte Rumänien nach einem Finalsieg gegen Kasachstan seinen ersten Weltmeistertitel erringen. Mit 6 kontinentalen Titeln und 2 Silbermedaillen ist die derzeitige rumänische Minifußballnationalmannschaft die erfolgreichste in der Geschichte des europäischen Minifußballs.
Im Tennis wurde Simona Halep, zweifache Grand-Slam-Siegerin in Roland Garros und Wimbledon und ehemalige Weltranglistenerste, im September von der Internationalen Tennis-Integritätsagentur (ITIA) wegen Dopings für vier Jahre gesperrt. Die Athletin hat beim Schiedsgericht für Sport in Lausanne (Schweiz) Einspruch gegen die Entscheidung eingelegt und soll im Februar kommenden Jahres angehört werden.