Rumänische Justizreform behindert Kriminalitätsbekämpfung
Das Gutachten der Venedig-Kommission hat die Machthaber in Bukarest kalt erwischt - die Experten missbilligen haufenweise Änderungen im Gesetzespaket für die Justizreform.
Bogdan Matei, 16.07.2018, 17:07
Schon seit anderthalb Jahren ist die Justizreform in Rumänien ein Dauerbrenner und wird leidenschaftlichst in der Öffentlichkeit debattiert. Die Regierungskoalition von PSD-ALDE sagt, dass sie durch die Änderung der Justizverwaltungsgesetze und der Strafgesetzbücher den Entscheidungen der Verfassungsgerichte und des EGMR Rechnung trägt. Die bürgerliche Opposition, die Zivilgesellschaft und die Medien dagegen argumentieren, dass die Änderungen die Richter der Politik unterwerfen und den Kampf gegen Korruption und generell gegen Kriminalität behindern.
Schließlich haben die Parteien an das externe Schiedsgericht der Venedig-Kommission appelliert – dieses beratende Gremium des Europarats formuliert Gutachten, an die sich die Mitgliedstaaten des Europarates generell halten.
In einer vorläufigen Stellungnahme warnt die Kommission jedoch davor, dass die Änderungen der drei Rechtsvorschriften über die Aufstellung der Judikative höchstwahrscheinlich die Unabhängigkeit der rumänischen Staatsanwälte und Richter sowie das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz untergraben werden. Die Sachverständigen der Kommission empfehlen deshalb, bei der Ernennung der Behördenleiter übergeordneter Staatsanwaltschaften ein Gleichgewicht zwischen den Befugnissen des Präsidenten, des Obersten Richterrates und des Justizministeriums zu finden. Sie äußerten Bedenken auch weil die Meinungsfreiheit der Richter eingeschränkt wird, eine Behörde zur Prüfung ihrer Arbeit geplant ist und die Rolle des Richterrates als Garant für die Systemunabhängigkeit geringer ausfallen soll.
Obwohl einige Änderungen die Beschlüsse des Verfassungsgerichts berücksichtigen, ist es schwierig, die Gefahr zu vermeiden, dass die Unabhängigkeit des Justizsystems untergraben wird und negative Auswirkungen auf die Korruptionsbekämpfung verursacht werden – so eine klare Warnung des Beratungsgremiums des Europarates. Als vehementer Kritiker der Justizpolitik der parlamentarischen Mehrheit, meint Präsident Klaus Iohannis, dass die Einschätzung der Venedig-Kommission ein sehr besorgniserregendes Signal für die Unabhängigkeit der Justiz sei. Nach seiner Lesart bestätige die vorläufige Sichtweise der Kommission die Ansichten der Zivilgesellschaft, des Richterrates und der Richterschaft bestätigt und rechtfertige Beschwerden zur Verfassungswidrigkeit und Anträge auf Neuprüfung.
Die Liberalen als stärkste Oppositionskraft haben an das Verfassungsgericht apelliert, den vorläufigen Bericht über die Gesetze der Justiz zur Kenntnis zu nehmen – die Gesetze müssten im Parlament neu diskutiert werden. Andere Oppositionsparteien stimmen zu.
Als Reaktion darauf wenden die Sozialdemokraten im Parlament ein, dass die vorläufige Meinung der Venedig Kommission ihnen eigentlich dahingehend Recht gebe, dass Änderungsbedarf bestehe und nicht, wie die Opposition und der Präsident interpretieren, Stillstand angesagt sei ist. Darüber hinaus sei die Stellungnahme sowieso kein amtliches Dokument und widerspreche sogar einem früheren Bericht der Venedig-Kommission über europäische Standards für die Unabhängigkeit der Justiz. Eine sehr politische gefärbte Meinung – befindet der Chef der Liberaldemokraten Calin Popescu Tariceanu, der auch Präsident des Senats ist, über die Warnungen ausländischer Experten.
Eine endgültige Bewertung der Venedig-Kommission wird im Herbst erwartet.