Radu Jude gewinnt Goldenen Bären bei digitaler Berlinale
Die deutschsprachige Presse über den Film, in dem ein Sex-Video an die Öffentlichkeit gerät, das Leben der Protagonistin auf den Kopf stellt und die Scheinheiligkeit einer Gesellschaft offenbart
Alex Gröblacher, 08.03.2021, 12:42
Aus Wien schreibt der Standard, dass die Jury, die aus fünf früheren Goldene-Bären-Gewinnern bestand, mit sicherem Gespür den provokantesten Film aus dem verkürzten Aufgebot auserkoren. Und nicht nur das, fügt die österreichische Zeitung hinzu: Er war auch einer der einfallsreichsten. Der Rumäne, der wohl größte Satiriker unter den Filmschaffenden seines Landes, erzählt darin mit einer guten Portion Sarkasmus von der moralischen Scheinheiligkeit, die den Zusammenhalt einer Gesellschaft gefährdet.
Für die Deutsche Welle hält die die Eröffnungsszene von Judes Satire, was der Titel verspricht: ein sehr realistisch wirkendes, selbst gedrehtes Porno-Video – definitiv nichts für prüde Gemüter. Aber explizite Inhalte seien überall im Internet verfügbar, sagt der Filmemacher, und wir sollten nicht von einvernehmlichem Sex schockiert sein. Das tatsächlich Obszöne sei die Heuchelei der Gesellschaft gegenüber weit verbreiteten Vorurteilen und Hass. … Es ist definitiv mehr als nur ein Sexvideo-Film; er prangert die Richtung an, in die die rumänische Gesellschaft sich bewegt, kommentiert Kulturredakteurin Elizabeth Grenier von der Deutschen Welle.
Was für ein Trip, auf den uns der Film «Bad Luck Banging or Loony Porn» mitnimmt, begeistern sich auch die Kollegen vom SRF aus der Schweiz. Dieser «Verrückten-Porno» des Rumänen Radu Jude gewinnt den Goldenen Bären, da er «den Zeitgeist heraufbeschwört, ihn ohrfeigt, zum Duell herausfordert», so die Begründung der Jury.
Und auch der SPIEGEL meint, dass mit Radu Judes »Bad Luck Banging« ein Film die Berlinale gewinnt, der unsere Zeit furios auf den Punkt bringt. „Der Bekloppten-Porno ist das, was der Sex-Szene selbst folgt: ein Tribunal der Eltern, bei dem Triebabfuhr in Form von Hasstiraden betrieben wird. Denn zwischen Pandemie, Neofaschismus und Korruption scheint nichts besser dem gefühlten kollektiven Kontrollverlust entgegenzuwirken, als sich als Richter über Frauen und ihre Sexualität aufspielen zu können und zu entscheiden, ob Emi – die Frau im Film – weiter unterrichten darf. Der Film fängt den Zeitgeist ein und stellt sich gegen ihn, will nicht gefallen und ist trotzdem der größte Spaß, der seit Ewigkeiten einen Goldenen Bären gewinnen konnte, lobt Hannah Pilarczyk vom Spiegel.
Die BZ aus Berlin fasst schließlich zusammen: ja, es ist zu befürchten, dass dieser Film auch in zehn, 20 und auch 30 Jahren noch Gültigkeit haben wird, selbst wenn er fest in dieser bestimmten Zeit verankert ist, in der alle Masken tragen – was Bad Luck Banging or Loony Porn“ zu dem einzigen Film des Wettbewerbs macht, in dem die Pandemie sichtbar wurde.
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