Politische Auseinandersetzungen in Bukarest
Die Krise in der Union Rettet Rumänien und Gewalt im Parlament beherrschen die heutigen Nachrichten in Bukarest.
Ştefan Stoica, 08.02.2022, 09:23
Die politische Laufbahn des ehemaligen Ministerpräsidenten und EU-Agrarkommissars Dacian Cioloș läuft zurzeit nicht gut. Vier Monate nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der liberal-grünen Anti-Korruptionspartei Union Rettet Rumänien trat er am Montag zurück. Grund dafür war sein Reformprojekt, das von der nationalen Parteiführung abgelehnt worden war. Er trat zwar zurück, doch aufgeben will er nicht. Dacian Cioloș erklärte: „Solange es im nationalen Präsidium keine Unterstützung für diesen Plan gab, hielt ich es für selbstverständlich und vernünftig, meinen Rücktritt einzureichen. Ich werde in der Partei bleiben. Um eine Zukunft zu haben, und ich glaube, dass sie eine Zukunft haben muss, muss sich die Partei erneuern. Sie sollte näher an der Gesellschaft dran sein und den Mut aufbringen, die Grenzen zu erkennen, die sie in der kommenden Zeit überwinden muss.“ Der frühere Verkehrsminister Cătălin Drulă, ein beliebter Politiker, übernahm das Amt des Interims-Parteivorsitzenden. Drulă kündigte sofort eine politische Kursänderung an, hin zu einer liberalen Ausrichtung. Er rief gleichzeitig zur Einheit der Mitglieder auf. Da Sozialdemokraten, Liberalen und der Ungarn-Verband mit einer soliden Mehrheit von 70 % regieren, ist die Krise der USR de facto die Krise der einzigen Partei, die die demokratische Opposition in der rumänischen Legislative vertritt.
Wer glaubt, dass die andere verbliebene politische Gruppierung, die Allianz für die Union der Rumänen, kurz AUR, etwas anderes ist als das ideologische Erbe der extremen Rechten der Zwischenkriegszeit, der hat sich bitter geirrt. Das bewies erneut der gestrige Übergriff eines AUR-Spitzenvertreters, in der Abgeordnetenkammer, während der Debatte über einen einfachen Antrag zum Thema Energie. Der wild gewordene Vorsitzenden der AUR, George Simion, stürmte auf den Resort-Minister Virgil Popescu zu, der auf Fragen über die hohen Gas- und Stromrechnungen Rede und Antwort stand, packte ihn am Hinterkopf und stieß ihn beiseite. Sprachliche Gewalt kam im schon Parlament vor, nicht aber körperliche. Die ist neu! Die Sitzung wurde nach dem Vorfall unterbrochen und später nur unter Beteiligung der Abgeordneten der AUR und der USR, die den Antrag eingereicht hatte, fortgesetzt. Das Parlament konnte bisher keine Sanktionen verhängen, denn die Geschäftsordnung sieht keine Vorschriften diesbezüglich vor. Der Vorsitzende der Liberalen, Florin Cîțu, kündigte an, dass er die Einführung klarer und harter Maßnahmen für solche Vorfälle vorschlagen werde. Die AUR organisierte davor einen gewalttätigen Protest vor dem Parlament gegen die Einführung des obligatorischen grünen Corona-Zertifikats am Arbeitsplatz. Derselbe George Simion stürmen auch gewaltsam in das Rathaus der westrumänischen Metropole Timișoara (Temeswar). Er hetzte gegen den deutschen Bürgermeister der Stadt, Dominic Fritz, der im September 2020 als erster ausländischer Kommunalpolitiker zum Leiter einer Stadtverwaltung gewählt wurde. Außerdem schikaniert er ihm unliebsame Abgeordnetenkollegen, die er ohne Zustimmung filmt und körperlich belästigt. Die AUR setzt sich aggressiv gegen die Corona-Schutzimpfung, für nationalistische und rechtsextreme Positionen ein. Kürzlich forderte die AUR, in einer Pressemitteilung, die Entfernung des Holocaust aus dem Lehrplan. Die israelische Botschaft und das Nationalen Elie-Wiesel-Instituts für das Studium des Holocausts in Rumänien reagierten mit Empörung darauf. Doch die Gewalt, mit der sie ihre nationalistisch-rechtsextremen Ideen vertritt, zahlt sich aus: Von der viertstärksten Kraft im Parlament ist sie in den Umfragen auf den zweiten Platz gestiegen.