Neues Gesetz lässt Tausende Gefangene frei
In Rumänien wurden in den letzten Tagen etwa 530 Gefangene durch eine neue Maßnahme zur Strafaussezung auf Bewährung aus den Strafvollzugsanstalten freigelassen, und weitere 3.300 Gefängnisinsassen hoffen ebenfallls auf eine vorzeitige Entlassung.
Florentin Căpitănescu, 24.10.2017, 14:19
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Rumänien am 25.04.2017 in einer Grundsatz-Entscheidung wegen überfüllter Gefängnisse zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Häftlinge lebten zum Teil auf weniger als drei Quadratmetern, bemängelten die Straßburger Richter in ihrem Urteil. Hinzu kämen unhygienische Toiletten, zu wenig Tageslicht und zu kurze Möglichkeiten, die Zelle zu verlassen. Dies sei eine inhumane Behandlung.
Der Gerichtshof sah darin ein strukturelles Problem. Rumänien müsse deshalb die Haftbedingungen grundsätzlich verbessern, hieß es. Innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft des Urteils soll die Regierung dafür einen präzisen Zeitplan vorlegen. Die Straßburger Richter regten dabei an, die Zahl der Gefangenen zu reduzieren. In Rumänien waren erst im Februar zahlreiche Menschen gegen einen umstritten Amnestieplan tagelang auf die Straße gegangen.
Als Antwort auf die Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verabschiedeten die rumänischen Behörden am 19.10.2017 ein neues Gesetz zur Entschädigung der Inhaftierten, die ihre Freiheitsstrafe unter schlechten Bedingungen absitzen mussten (das sog. Gesetz über den Kompensationsrekurs). Gemäß des neuen Gesetzes werden 30 Hafttage, die von einem Gefangenen in einer Strafvollzugsanstalt unter unangemessenen Haftbedingungen abgesessen wurden, mit einem Straferlass von 6 Tagen kompensiert.
Laut Justizminister Tudorel Toader wurden durch die Umsetzung des neuen Gesetzes etwa 530 Gefangene auf Bewährung freigelassen, und weitere 3.300 Gefängnisinsassen haben auch die Chance auf eine vorzeitige Entlassung bekommen. Die Inhaftierten können bei den entsprechenden Kommissionen der Strafvollzugsanstalten und Gerichte Anträge auf eine sog. „Kompensation der Haftstrafe“ stellen, und die Richter werden entscheiden, ob die Antragsteller eine Strafaussezung auf Bewährung bekommen können.
Die Gefangenen, die ihre Freiheitsstraffen völlig abgesessen haben, aber auch Klagen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht hatten und deren EGMR-Verfahren noch laufen, könnten vom rumänischen Staat auch einen finanziellen Schadensersatz bekommen – zwischen 5 und 8 Euro für jeden Hafttag, den sie unter unangemessenen Haftbedingungen abgesessen haben. Eine ähnliche Maßnahme sei auch in anderen EU-Ländern umgesetzt worden, wenn eine Freilassung auf Bewährung nicht in Frage gekommen war. Dazu der rumänische Justizminister Tudorel Toader:
„Manche Ex-Gefangene haben ihre Freiheitsstrafe völlig abgesessen und sind nach Hause gegangen, aber sie haben noch laufende Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Diesen Menschen kann man keine Tage mehr von der Freiheitsstrafe erlassen, da sie bereits zu Hause sind; daher wird ihnen ein finanzieller Schadenssersatz gewährt. Die Summen werden nicht von mir festgelegt. Darüber kann ich Ihnen aber zwei Beispiele geben: Durch eine ähnliche Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte werden in Ungarn 5 Euro und in Italien 8 Euro pro Hafttag unter unangemessenen Haftbedingungen bezahlt. Wahrscheinlich wird auch für Rumänien ein ähnlicher Schadensersatz festgelegt.“
Ferner sagte Tudorel Toader, er hoffe, dass die Anwendung des Gesetzes über den sog. „Kompensationsrekurs“ nicht zu einer Steigerung der Kriminalität führen werde. Der Justizminister kam mit den Leitern der Bewährungsdienststellen zusammen, um die Details betreffend die Bewährungszeit und die soziale Integration der vorzeitig Freigelassenen zu besprechen.