Nach Rücktritt der Regierung: Weitere Protestmärsche angekündigt
In Rumänien haben sich die Protestbewegungen gegen Politik und Verwaltung nach der Brandkatastrophe im Klub Colectiv ausgedehnt. Die Demonstranten fordern die Reform der gesamten politischen Klasse
Corina Cristea, 05.11.2015, 19:20
Gut 20.000 Menschen hatten am Dienstagabend bei einem Protestmarsch im Stadtzentrum von Bukarest den Rücktritt von Ministerpräsident Victor Ponta und Innenminister Gabriel Oprea gefordert, sowie den des Bürgermeisters des 4. Bezirks, in dem die Tragödie stattfand. Die drei galten nach Ansicht vieler Protesteilnehmer als Exponenten der für die Katastrophe schuldigen politischen Klasse. Und die Anstrengungen der Demonstranten sollten gleich am nächsten Morgen mit einem Teilerfolg belohnt werden: Der Ministerpräsident legte sein Amt nieder und kündigte damit der gesamten Regierung. Es wäre ein Fehler gewesen, den Unmut der Menschen zu ignorieren, sagte Ponta, dessen Rücktrittsgeste kurze Zeit später von dem Bürgermeister des 4. Bezirks wiederholt wurde.
Dennoch kehrten die Zehntausenden Antisystem–Demonstranten am Mittwochabend in Bukarest und anderen Städten auf die Straßen zurück. Sie würden so lange weitermachen, bis die gesamte Politik reformiert sei, lautete der Tenor. Wir sind keine Zahlen, wir sind lebendig, wir sind so lebendig, denn der Tag, an dem wir aufgeben, ist der Tag an dem wir sterben!“ – stand auf vielen Plakaten. Ein Zitat aus einem der Songs von Goodbye to Gravity, der Heavy-Metal-Band, die am Abend des tödlichen Feuers im Klub Colectiv konzertierte.
Lasst uns der politischen Klasse zeigen, dass sie korrupt ist und wir eine Veränderung wollen. Wir wollen, dass die nächte politische Klasse, die wir hoffentlich in der neuen Regierung verankern werden, die Fehler aller Regierungen der letzten 25 Jahre nicht mehr wiederholt. Wir wollen ein Alarmzeichen senden und die gesamte politische Klasse herausfordern, die bisherigen Fehler nicht mehr zu wiederholen und auf die Stimme der Straße zu hören.
Ich glaube, es war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Letztenendes geht es nicht nur um die Schuldfrage, um die Schuldigen für all die Toten, es geht um Verantwortung, einschließlich der politischen Frage.
(Protestteilnehmer in Bukarest)
In Bukarest waren vor allem systemkritische Parolen zu hören, etwa Alle Parteien, ein und derselbe Dreck!. Dem Präsidenten wollte man signalisieren, dass er mit der Nominierung des neuen Ministerpräsidenten nach der Beratungsrunde mit den Parteien, seine letzte Chance bekomme. Indes werfen die bestürzten und zutiefst betroffenen Bürger dem Patriarchen Daniel vor, dass er sich bislang nicht an den Unglücksort begeben habe.
Die Proteste dehnten sich am Mittwochabend flächendeckend aus. Laut Hochrechnungen hätten zusätzlich 35.000 Menschen in Timişoara, Cluj, Braşov, Târgu Jiu, Iaşi, Alba Iulia, Miercurea-Ciuc, Ploieşti, Brăila und Constanţa, sowie in Paris und London demonstriert. Bei den Massenkundgebungen handele es sich laut Expertenmeinungen um eine bewusste Revolte der Bevölkerung, die zeige, dass die Bürgerbewegungen der überwiegend jungen Menschen gereift seien. Es ist keine politische Bewegung, sondern eine spontane Geste, die von der Tragödie der unschuldig verstorbenen Konzertgänger ausgelöst wurde. Die Opfer seien aber nicht gestorben, sie hätten uns geweckt, hörte man gestern auf dem Universitätsplatz zu Bukarest.