Kicker in der Krise
Die Blamage der Nationalelf bei der EM in Frankreich beherrscht die Diskussionen über den Zustand des Fußballs in Rumänien - das Debakel hat mit den chronischen Problemen in der Fußballindustrie zu tun
Bogdan Matei, 28.06.2016, 17:15
Über wenige Themen wird in Rumänien so heiß diskutiert wie über Politik und Fußball – und mit beiden kennen sich alle perfekt aus, besagt ein hierzulande beliebtes Bonmot. Doch während in der Politik Links gegen Rechts und Regierung gegen Opposition streiten, herrscht beim Fußball zumindest in einer Hinsicht Konsens: Die Nationalmannschaft gehört allen. Und das Publikum scheint der Aussage der früheren Fußballikone Sorin Cârţu zu folgen: Rumänien habe heute die bescheidenste Nationalelf seit 1970.
Und in der Tat, am 19. Juni unterlag Rumänien bei der EM sogar Albanien, eine seit 1948 nie passierte Fehlleistung. Einen einzigen Punkt holte die Nationalmannschaft in ihrer Gruppe, nachdem sie gegen Frankreich und Albanien unterlag und schwer ein Unentschieden gegen die Schweiz erkämpfte. So phantasielos war der Angriff, dass die beiden Tore Elfmetertreffer waren. Die Verteidigung rettete sich von Patzer zu Patzer. Trainer Anghel Iordănescu schien von einem anderen Stern, kritisierten das Publikum und die Presse, die unisono nach dem Rücktritt der hohen Tiere vom RFB riefen.
Eine Reaktion kam erst eine Woche später, als RFB-Chef Răzvan Burleanu ankündigte, dass Iordănescus Vertrag in diesem Sommer nicht mehr verlängert wird. Der Name des neuen Trainers werde bis Ende der EM mitgeteilit, hieß es auf der Pressekonferenz, auf der Burleanu die Schuld am Debakel seinem Vorgänger Mircea Sandu zuschob. Sandu hatte sich 2014 nach einem Vierteljahrhundert an der Spitze des Fußballbundes zurückgezogen und nach den Worten seines Nachfolgers eine Wüste oder eine Sumpflandschaft hinterlassen. Die Medien geben ihm in Grenzen Recht.
Die rumänische Fußballindustrie gilt als zutiefst korrupt und steht vor dem sportlichen und finanziellen Bankrott. Sowohl Ex-RFB-Präsident Sandu als auch der Chef der Profiliga, Dumitru Dragomir stehen im Mittelpunkt von Korruptionsverfahren. Zahllose Spielermanager und Funktionäre sitzen oder saßen bereits im Knast. Die Klubs ächzen unter Schuldenlasten und landen immer wieder vor dem Konkursrichter. Spielten die Leute im Kader der Nationalelf in den 1990er Jahren noch bei Prestigeklubs wie Real Madrid, FC Barcelona, AC Mailand oder Ajax Amsterdam, kommen sie heute öfters von der Reservebank zweitklassiger Mannschaften am Balkan oder am Persischen Golf. Doch das alles ist keine Erklärung, so die Sportpresse, für das stümperhafte Vorgehen der jetzigen Führungsriege beim RFB, die keine Erfahrung oder Verdienste vorzuzeigen hat und nur von der Politik und den Geheimdiensten unterstützt wird. Am 4. September beginnen bereits die Qualifikationsspiele für die WM 2018 in Russland. In einer Gruppe mit Polen, Dänemark, Montenegro, Armenien und Kasachstan scheint Rumänien nur geringe Aussichten zu haben, in zwei Jahren bei der Endrunde dabeizusein.