Generalstreik im Schulwesen: Ende des Schuljahres fristlos ausgesetzt
Kurz vor Ende des Schuljahres bricht wieder Chaos in den rumänischen Schulen aus. Die Lehrer streiken erneut und eine Einigung zwischen Gewerkschaften und Regierung ist kurzfristig nicht in Sicht.
Bogdan Matei, 22.05.2023, 14:24
Nachdem die COVID-19-Pandemie in den vergangenen Jahren den Unterricht ins Internet verlagert und eine ganze Generation von Schülern durcheinandergebracht hat, erschüttert ein neues Erdbeben das rumänische Bildungswesen. Die Schüler müssen wieder einmal zu Hause bleiben. Die Lehrergewerkschaften sind in einen Generalstreik getreten, weil sie mit der Lohn- und Sozialpolitik der Koalitionsregierung unzufrieden sind. Mehr als 150 000 Lehrer und 60 000 bis 70 000 Hilfskräfte haben sich dem Streik angeschlossen. Sie sagen, dass der Ausstand so lange andauern wird, bis sie von der Exekutive ein glaubwürdiges Angebot erhalten, das klare Aussichten für die Lösung ihrer Probleme bietet.
Vor dem Hintergrund einer Inflation, die im vergangenen Jahr um 15 Prozent gestiegen ist und damit die Lebenshaltungskosten in die Höhe getrieben hat, ist das größte Problem die Vergütung der Lehrer. Die Gewerkschafter fordern Gehälter von 4 000 Lei (umgerechnet etwa 800 Euro) für junge Lehrkräfte am Anfang ihrer Karriere und bis zu 7 000 Lei (1 400 Euro) für erfahrene Pädagogen, die kurz vor dem Ende ihrer Lehrtätigkeit stehen. Auch die von der zuständigen Ministerin Ligia Deca geförderten und gelobten neuen Bildungsgesetze sorgen für Unzufriedenheit. Was das Ende des Schuljahres angeht, das normalerweise für Mitte bis Ende Juni vorgesehen ist, so sagen die Gewerkschafter, dass es der Regierung obliegt, diese Frage zu beantworten; folglich sei es noch nicht abzusehen, wann das Ende des Schuljahres in die Matrikelblätter der Schüler eingetragen werden kann. Nach Gesprächen mit Regierungsvertretern sagte Marius Nistor, Vorsitzender des Gewerkschaftsverbands Spiru Haret“, folgendes:
Ich wünschte, und das ist der Wunsch aller, die im Bildungswesen tätig sind, dass dieser Generalstreik nicht ausgerufen worden wäre. Wir haben ihn nicht gewollt, doch sahen wir uns dazu genötigt. Es handelt sich um eine Anhäufung von Missständen, und die Dauer des Ausstandes wird ausschließlich von der Antwort der Regierung und natürlich von den Vorstellungen unserer Kollegen abhängen.“
Premierminister Nicolae Ciucă hielt sich wie immer bedeckt und hütete sich, zu laute Kritik an die Gewerkschafter zu üben:
Bildung ist unsere Priorität, ebenso wie die Gesundheit. Ich glaube, wir können eine Lösung finden. Wir dürfen aber die Kinder nicht kurz vor den Prüfungen und vor dem Ende des Schuljahrs einfach in der Schwebe lassen.“
Der Schulstreik sorgt auch für politischen Stillstand. Gemäß dem Koalitionsvertrag wird erwartet, dass der Liberale Ciucă in Kürze den Posten des Ministerpräsidenten an den PSD-Vorsitzenden Marcel Ciolacu abgibt und dass die Parteien der Koalition die Ressorts untereinander neu verteilen. Ciolacu fordert jedoch, dass die Verhandlungen über das künftige Kabinett ausgesetzt werden, bis die Forderungen der Gewerkschaften geklärt sind.
Beobachter des Politikbetriebs in Bukarest sind der Meinung, dass weder die Liberalen noch die Sozialdemokraten sehr glücklich darüber sind, die Führung der Exekutive in der heutigen Konstellation innezuhaben, denn auch die Gewerkschaften im Gesundheitswesen drohen damit, die Arbeit niederzulegen, und die Polizeibeamten fordern ihrerseits ein Recht auf Streik ein. Unabhängig von der politischen Couleur der Regierung, so die Analysten, werden alle politischen Parteien die akute Unzufriedenheit in der Gesellschaft spätestens im nächsten Jahr zu spüren bekommen und ausbaden müssen. Denn nächstes Jahr ist ein Superwahl-Jahr: In Rumänien werden dann Kommunal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sowie die Europawahl stattfinden.