Erhöhte Stromrechnungen: Staat will Endverbrauchern unter die Arme greifen
Seit dem 1. Juli ist der Energiemarkt in Rumänien vollständig liberalisiert – das hat zu horrenden Preisen für Strom und Gas geführt.
Corina Cristea, 30.09.2021, 18:00
Das rumänische Parlament hat Vertreter der Nationalen Regulierungsbehörde im Energiebereich (ANRE) zu einer Anhörung vor einem Untersuchungsausschuss vorgeladen. Konkret soll in Erfahrung gebracht werden, warum die Liberalisierung des Strom- und Gasmarktes am 1. Januar bzw. 1. Juli 2021 zu einer beispiellosen Erhöhung der Rechnungen für Endverbraucher geführt hat — in manchen Fällen erhielten die Haushalte bis zu doppelt so hohe Strom- und Gasrechnungen wie bis zur Freigabe des Marktes. Eine Erhöhung der Preise habe man zwar in Kauf genommen, allerdings nicht in einer solch galoppierenden Entwicklung, sagen die Vertreter der Regulierungsbehörde, die auch darauf verweisen, dass die EU-Vorschriften staatlichen Behörden streng untersagen, Einfluss auf die Preisbildung zu nehmen. Den Endverbrauchern könnte man dennoch unter die Arme greifen, indem der Staat bestimmte Gebühren, die auf der Rechnung stehen, übernehmen würde, so etwa die sogenannten grünen Zertifikate für Öko-Strom-Erzeugung und die Abgabe für Kogenerierung, auch Kraft-Wärme-Kopplung genannt. Dadurch würden die Energierechnungen für Endverbraucher um bis zu 15% niedriger anfallen, so die Vertreter der Regulierungsbehörde.
Ein Tropfen auf den heißen Stein, sagen Kritiker dazu, außerdem könne ein entsprechender Regierungsbeschluss nur auf sechs Monate beschränkt werden, um die weiteren Entwicklungen auf dem Energiemarkt unter Beobachtung zu halten. Derzeit bezahlen alle Energieverbraucher in Rumänien nebst dem eigentlichen Energiepreis die Gebühr für erneuerbare Energieerzeugung und die Abgabe für effiziente Kogenerierung. Der parlamentarische Ausschuss forderte die Vertreter der Regulierungsbehörde auf, demnächst weitere Maßnahmen zu erarbeiten, um den Endverbrauchern die Bezahlung der horrenden Preise zu erleichtern.
Auch der rumänische Energieminister Virgil Popescu musste vor wenigen Tagen Rechenschaft vor der Abgeordnetenkammer des Parlaments ablegen. Der Minister sagte, dass nicht Rumänien allein von der Preiserhöhung für Gas und Strom betroffen sei, weltweit stiegen die Energiepreise und die Europäische Kommission werde demnächst eine Reihe von Empfehlungen formulieren, wie die einzelnen Mitgliedsstaaten den Verbrauchern helfen können, ohne den freien Wettbewerb auf dem Markt einzuschränken. Zuvor war der Minister auch dem parlamentarischen Ausschuss Rede und Antwort gestanden. Dabei hatte er versichert, dass die Regierung eine Eilverordnung plane, mit der die Stromrechnung für über 60% der Endverbraucher durch staatliche Kompensationen teilweise entlastet werden soll. Auch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sollen ab dem 18. November staatliche Hilfen für die Begleichung der Stromrechnung fließen.
Die staatliche Energie-Regulierungsbehörde (ANRE) empfiehlt indessen den Endverbrauchern, neue, auf den persönlichen Verbrauch abgestimmte Verträge mit dem Energielieferanten ihrer Wahl abzuschließen, denn die meisten Haushalte haben immer noch allgemeine Lieferverträge, und die nicht auf den Kunden zugeschnittenen Lieferpreise werden ab nächstem Jahr höchstwahrscheinlich weiter steigen. Aktuell verfügen etwa 57% der Kunden in Rumänien über individuell ausgehandelte Stromlieferungsverträge. Damit belegt Rumänien den ersten Platz in der EU hinsichtlich der Geschwindigkeit des Übergangs vom regulierten zum freien Energiemarkt.