Der Einbruch des Winters, der nach einem lokalen Bonmot die Regierungen immer wieder überrascht, verstärkt die Ängste und die Unzufriedenheit der Menschen. Die Rumänen hatten ohnehin mit die niedrigsten Renten und Gehälter aller EU-Bürger. Die Inflation hat mit einer jährlichen Rate von mehr als 15 Prozent tief in ihre Kaufkraft eingeschnitten. Von Lebensmitteln bis zu Dienstleistungen und von Haushaltsgeräten bis zu Arzneimitteln ist alles teurer geworden, und die Preisspirale wurde nach Ansicht von Experten vor allem durch die steigenden Energiepreise angetrieben. Die verschiedenen von den Regierungen erdachten Programme zum Ausgleich oder zur Deckelung der Energiepreise sind nicht kohärent und scheinen die Bevölkerung nicht zu überzeugen, die zunehmend Angst vor den kolossalen Rechnungen hat, die sie in den Wintermonaten erhalten wird.
Ein erster Protest, angeführt von Spitzenvertretern mehrerer Gewerkschaften im Cartel Alfa Verbund, fand am Montag in Zalău im Nordwesten des Landes statt. Die Organisatoren wollten auf die steigenden Energiekosten aufmerksam machen, die Unternehmen, Institutionen und vor allem die Bevölkerung treffen. Den Gewerkschaftern zufolge ist dies nur der Anfang einer Karawane, die sich „Marsch gegen die Armut“ nennt und die quer durch das Land bis nach Bukarest ziehen soll, wo für den 20. Oktober eine Großkundgebung geplant ist. „Es gibt derzeit keine wirtschaftlichen Strategien für Rumänien, um diesen Winter zu überstehen“, klagt ein Gewerkschafter.
Weiter südlich von Zalău protestierten Cartel-Alfa-Mitglieder ebenfalls vor der Zentrale des Kraftwerks Mintia und forderten höhere Löhne und Renten, einen Stopp der Preiserhöhungen und eine Änderung des Gesetzes über den sozialen Dialog. „Wir wollen die Aufmerksamkeit der rumänischen Regierung auf die Energiekrise lenken, die sich verschärft und die Bevölkerung ärmer macht. Wir fordern höhere Löhne, einen Stopp der Energiepreise und die Wiederaufnahme der Kohleverstromung“, so der Vorsitzende des Bezirksverbands Hunedoara von Cartel Alfa, Cristian Iștoc. Die Wahl des Wärmekraftwerks Mintia als Ort des Protests sei ihm zufolge nicht zufällig, da die Einheit im März 2021 geschlossen wurde und sich der Energiepreis seitdem verzehnfacht hat. „Bei uns ist der Strom teurer als in Deutschland, und die Löhne sind drei- bis viermal niedriger als dort, was nicht fair ist“, betonte Iștoc. Die Nervosität in der rumänischen Gesellschaft ist Teil eines breiteren europäischen Trends. Zehntausende von Menschen gingen bereits in Prag oder Paris, London oder Budapest auf die Straße, um gegen die Verschlechterung des Lebensstandards zu protestieren – eine indirekte, aber sehr greifbare Auswirkung des Einmarsches russischer Truppen in die Ukraine.